Matthias: “Turmschatten” von Peter Grandl ist wieder einmal ein Buch, das ich aufgrund des Klappentextes niemals gelesen hätte. Es war ein Vorschlag vom Piper-Bloggerteam. Eine kurze Recherche hat dann ergeben, dass dieses Buch schon einmal als gebundene Variante erschienen ist und nun bei Piper-Verlag neu aufgelegt wurde. Die Leseprobe hat mich ohne Anlauf völlig gefesselt, sodass ich gar nicht anders konnte als dieses Buch zu lesen.
Der Klappentext / Die Rückseite des Buches:
Eine brutale Geiselnahme. Und die Welt schaut zu. Es ist ein spektakuläres Verbrechen: Drei Neonazis werden in einem Turm gefangen gehalten. Ephraim Zamir, der Geiselnehmer, konfrontiert sie in einem Verhör mit ihren rechten Gewalttaten und überträgt das Ganze live im Internet. Die Zuschauer sollen abstimmen: freilassen oder hinrichten? Es ist der Beginn eines weltweiten Medienspektakels. Für die Polizei ist es ein Wettlauf gegen die Zeit. Womit sie nicht rechnen: Der Geiselnehmer ist ein ehemaliger Mossad-Agent, der nichts mehr zu verlieren hat.
Meine Meinung:
Buch auf und ich lande im Jahre 1945 im dunkelsten und abscheulichsten Kapitel deutscher Geschichte. Ich erlebe nicht nur den Bombenhagel, der über Deutschland hereinbricht, sondern lerne auch einen Teil der Geschichte eines mächtig aufragenden Turms kennen. Dann ein Wechsel und ich befinde mich im Jahr 2010. Ephraim Zamir hat im Holocaust seine ganze Familie verloren. Nach 50 Jahren kehrt er als reicher Mann in das Geburtsland seiner Mutter zurück und kauft den geschichtsträchtigen Turm, den er sehr aufwändig renovieren lässt und zu seinem Wohnsitz macht. Es geht ihm finanziell gut und so bietet er der jüdischen Gemeinde eine großzügige Spende an, damit der lange schon geplante Bau einer Synagoge endlich beginnen kann. Dieses Vorhaben wollen die Neonazis unbedingt verhindern. Mit einem ausgetüftelten Plan dringen sie in den Turm ein. Mit List überwältigt der 72-jährige Ephraim die 3 Eindringlinge und sie finden sich plötzlich in seiner Gefangenschaft wieder. Technisch aufwändig startet er ein Internet-Voting und lässt die Welt daran teilhaben und entscheiden, ob die 3 Neonazis leben oder sterben sollen. Wie werden die Zuschauer entscheiden? Der Polizei läuft die Zeit davon. Die TV-Sender befeuern die Zuschauer, an der Hinrichtung teilzunehmen und über Leben und Tod zu entscheiden. So wird der Turm nicht nur zu einem grausamen Ort der Hinrichtung, sondern auch zu einem Schauplatz eines riesigen Medien-Spektakels. Das ist wirklich nur die oberste Spitze dieses außergewöhnlichen Thriller-Eisberges. Selten zuvor haben mich Worte mit so einer Wucht in den Bann gezogen, wie in diesem Buch, ich möchte fast schon von paralysiert sprechen. Es war zum einen der kraftvolle und sehr ausdrucksstarke Schreibstil, aber auch die Tatsache, dass die Worte nicht nur Fiktion sind, sondern auch die dunkelste Geschichte unseres Landes, deren Auswirkungen leider bis heute immer noch spürbar sind. Dieses geschickt geschnürte Paket hat mir nicht nur die klassische Lese-Gänsehaut beschert, sondern regelrechter Schauer aus Entsetzen und Abscheu in mir hervorgerufen! Herr Grandl erweckt mit seinen Worten nicht nur schon oft gesehene Bilder wieder zum Leben, sondern lässt auch die perfekt zur Geschichte ausgewählten Charakter total lebendig erscheinen. In hochinteressanten Zeit – und Rücksprüngen lerne ich sowohl das Leben der Neonazis, der Polizisten und TV-Macher aber auch das Leben von Ephraim Zamir mit jeder Zeile besser kennen. Das machte es mir noch einfacher, mit Ihnen eine Verbindung einzugehen, mich aber auch gleichzeitig anfälliger, die Wucht der Gefühle nahezu ungefiltert zu empfinden. Natürlich gab es auch Moment, wo ich ihre Handlungen verstehen konnte, aber dennoch konnte ich sie dadurch kein bisschen besser nachvollziehen oder gutheißen. Es war ein ständiger Taumel zwischen Sympathie, Hass, Hoffnung, Mitleid. In regelmäßigen Abständen hat der Autor in mir Abscheu und tiefe Verachtung auflodern lassen, aber gleichzeitig ermahnt er, dass Selbstjustiz auf keine Fall der richtige Weg ist. Die Schicksale werden Stück für Stück miteinander verknüpft und ich habe die ohnehin schon sich am Anschlag befindliche Spannung fast unerträglich gemacht. Immer wieder habe ich mich gefragt, wie es am Ende wohl ausgehen wird. Wird das Gute über das Böse siegen – oder ist das Böse, am Ende das Gute? Das Buch ist so viel mehr wie ein Thriller – Zeuge und ein Mahnmal, ein Hoffnungsträger und auch ein fesselndes Erlebnis. Es ist jetzt schon eine ganze Weile seit ich dieses Buch gelesen habe, aber meine Gedanken gehen immer wieder dazu zurück. Ich habe in jeder Zeile gespürt, welche Arbeit hinter diesen fast 600 Seiten stecken und dafür kann ich dem Autor nur meinen allergrößten Respekt zollen und “Danke” sagen. Zweifelsfrei ein Jahreshighlight. 5 von 5 Sterne
0 Kommentare