Matthias: Bei meinem ersten Blick in die Neuheiten habe ich das Buch mit dem doch recht christilich klingen Titel “Der gute Hirte” übersehen. Erst ein Newsletter des Ullstein Verlages und ein Blick auf die Beschreibung hat mein Krimi-Radar in Rotation versetzt. Es klang nach einem spannenden Reihenauftakt von Cornelius Hartz, von dem ich bis jetzt noch nichts gehört und gelesen habe. An dieser Stelle möchte ich schon einmal folgendes verraten. Schön, dass es solche Newsletter gibt.
Der Klappentext / Die Rückseite des Buches:
Taifun Çoban arbeitet als Experte beim LKA in Kiel. Der 42-jährige Deutschtürke ist auf die Identifizierung von Toten spezialisiert. Als er nach Harmsbüttel gerufen wird, um an der Seite des Dorfpolizisten Wernersen zu ermitteln, weiß er nicht so genau, was er davon halten soll. Die Polizeiwache nebst Poststation bei den Wernersens im Wohnzimmer? Ein Polizist, der Türken und Araber über einen Kamm schert? Eine Polizistin, die Fanta Braun heißt und darüber lachen kann? Doch dann kommt Bewegung in den Fall rund um den Toten aus der Baugrube, denn Taifun kann ihn identifizieren und mit einem Cold Case in Verbindung bringen. Und – getragen von Wernersens Ortskenntnis und Fantas Humor, – nimmt er es mit der eingeschworenen Dorfgemeinschaft auf.
Meine Meinung:
Zunächst lande ich im Jahr 1980: Eine von dörflicher Langeweile getriebene Gruppe Jugendlicher fordert einen Jungen, der gerne zu der Gruppe gehören möchte, zu einer eigentlich einfachen Mutprobe auf. Doch die Sache läuft völlig aus dem Ruder und endet tödlich. Noch ganz benommen von diesem sehr packenden Anfang lande ich im Jahr 2021. Menschen halten Mindestabstand und stehen erstaunt vor einer Baugrube. Auf Grund von Baupfusch wird eine Abrissbirne herbeigerufen und durch deren kraftvollen Einsatz kommt eine Leiche an die Oberfläche. Das ruft den LKA Identifizierungs-Spezialisten Taifun Coban (ich weiß nicht, wie man der Tastatur dieses türkischen Häkchen unter dem C entlockt) auf den Plan. Gemeinsam mit dem Dorfpolizisten Wernersen und der Kommissarin Fanta Braun ermitteln sie in der 500 Seelen Gemeinde, wer der Tote ist und auch nach seinem Mörder. Fanta und Taifun erinnern sich an einen Fall aus Ihrer Ausbildung, in dem ebenfalls in dieser kleinen Gemeinde eine Leiche gefunden wurde. Dieser Fall wurde bis heute nicht aufgeklärt. Kann das Zufall sein? Der einfache, jedoch sehr bildhafte Schreibstil machte es mir sehr leicht, mitten in die Geschehnisse einzutauchen. Wie gemalt erscheinen mir als Dorfkind das vom Autor gezeichnete Idyll und seine durchaus etwas “verstaubten” Bewohner. Mit demselben guten Auge für Details und Besonderheiten hat Herr Hartz die Protagonisten gezeichnet und hat mir damit Taifun Coban, Raimund Wernerer als authentischen Dorfpolizisten, dessen Dienststelle in seinem Wohnzimmer ist, ebenso wie die toughe Kommissarin Fanta Braun, aber auch den klassischen Menschenschlag eines Dorfes zum Leben erweckt. Letztere sind natürlich in typischem Maße Vorurteilsbehaftet, vor allem wenn ein Mohammedaner plötzlich in ihrer Mitte schnüffelt. Eine Truppe, die nicht nur Kompetenz ausstrahlt, sondern auch sofort die volle Punktzahl an Sympathie bei mir für sich verbuchen konnte. Die von Beginn an mit guter Grundspannung unterlegten Ermittlungen zeigen schnell, dass es durchaus eine Verbindung zu dem Cold Case aus den 80er Jahren gibt. Im Fortlauf der von Anfang an logisch aufgebauten Ermittlungen verbindet sich in kleinen Schritten die beiden Fälle. Wie diese Zusammenhänge genau sind, bleibt sehr lange unter dem Radar und hält den Miträtsel Faktor durchgehend am Laufen und steigert die Spannung zur Hochspannung. Der Krimi ist in drei sehr geschickt ausgelegte Ebenen unterteilt. Im dynamischen Wechselspiel zwischen früher, heute und später baut sich ein kraftvolles Spannungsfeld auf, das es unmöglich macht, diesen Krimi aus den Händen zu legen. Das “früher” hat mich geschockt, das “jetzt” hat mich gefesselt und das “später” hat mich berührt und mir die Möglichkeit gegeben, Taifun besser kennenzulernen. Das alles war für mich ein Leseerlebnis voller Spannung und Emotionen – kurzum alles, was für meinen Geschmack einen perfekten Krimi braucht. Wenn ich einen Kritikpunkt habe, dann der, dass das Buch nur 288 hat, aber auch das ist das typische Jammern auf hohem Niveau und eigentlich ein Beweis, dass es gar keine 400 Seiten braucht, um eine packendes Leseerlebnis zu schaffen, das von Beginn an zeigt, wo der Spannungshammer hängt. Ich freue mich jetzt schon sehr auf die hoffentlich bald erscheinende Fortsetzung. 5 von 5 Sterne
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